Das Zeichen des Kain
„Das Zeichen des Kain ist uns auf die Stirn geschrieben. Jahrhunderte hindurch lag unser Bruder Abel in seinem Blut, das wir vergossen haben". Dieses Zitat stammt aus einem Gebet von Papst Johannes XXIII. Darin bittet dieser um Vergebung für die Gräueltaten der Katholischen Kirche an den Juden.
Im Kontext des Gebets ist das Zeichen des Kain ein Schuldeingeständnis für begangene Verbrechen. Darüber hinaus aber hat die Geschichte von Kain und seinem Zeichen vielleicht noch eine tiefere Bedeutung, die im Übrigen interessante Parallelen zum Papsttum erkennen lässt.
Das Opfer
1. Mose Kapitel 4: Warum macht Gott einen Unterschied zwischen dem Opfer Abels und dem Opfer Kains? In den Versen 4b-5a heißt es: „Und der Herr sah Abel und sein Opfer an; aber Kain und sein Opfer sah er nicht an".
Die Frage ist relativ schnell beantwortet, wenn man ein Kapitel zurückgeht. Weil Adam und Eva auf den Betrug der Schlange hereingefallen waren und Gottes Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, gebrochen hatten, mussten sie den Garten Eden (die uneingeschränkte Gemeinschaft mit Gott) verlassen. Zuvor aber machte Gott „Adam und seiner Frau Kleider aus Fell und bekleidete sie" (1Mo 3,21). Um eine Bekleidung aus Fell herzustellen, musste ein Tier getötet werden. Damit hatte Gott sein Prinzip, wie er mit Sünde umzugehen gedachte, bereits offenbart: Um Sünde zu sühnen, muss jemand sterben. Im Neuen Testament gibt es einen Vers, der diesen Sachverhalt auf den Punkt bringt: "und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung" (Hebr. 9,22).
Ich bin mir sicher, dass Adam und Eva ihren Kindern dieses Prinzip klar und deutlich vermittelt hatten. Beide Söhne wussten genau, welche Anforderungen Gott an ein Opfer stellen würde. Ungeachtet dessen praktizierte Kain einen neuen, „kreativen" Weg der Anbetung.
In Hebr. 11,4 lesen wir: „Durch Glauben brachte Abel ein besseres Opfer dar als Kain; durch ihn erhielt er das Zeugnis, dass er gerecht sei, indem Gott über seine Gaben Zeugnis ablegte". Auf Kain übertragen heißt das: Sein Opfer war das schlechtere, weil er keinen Glauben hatte. Oder anders formuliert: keinen Glauben benötigte, denn seine eigene Unzulänglichkeit war für ihn gar kein Thema. Er hielt sich bereits für gerecht genug, um Gott zu begegnen. Er war daher der Meinung, dass es reichen müsste, Gott das Beste zu geben, was er zu geben hatte. Ein solches Denken führt zu bösen Werken. In 1Jo 3,12 steht: „Kain, der aus dem Bösen war und seinen Bruder erschlug. Und warum erschlug er ihm? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht". Kain verkörpert damit das Prinzip des teilweisen Gehorsams, ist aber weit davon entfernt, sich Gott ganz zu unterwerfen.
Während Abel voller Zuversicht war, dass sein Opfer ihn vor Gott gerecht machte (Hebr. 11,1.4), musste Kain erfahren, dass er in den Augen Gottes ein Ungerechter war. Diese Erkenntnis war zu viel für ihn. Gott akzeptierte seinen Bruder, ihn aber nicht, sah weder ihn an noch sein Opfer. Das bedeutete, dass Gott sich von ihm abgewendet hatte. Diese Ablehnung muss Kains Stolz zutiefst verletzt haben. In seiner Rebellion erkannte er nicht, dass Gottes Ablehnung eine Reaktion war auf seine Ablehnung der Regeln Gottes.
Der Mord
„Da wurde Kain sehr wütend und sein Angesicht senkte sich". Als Kain spürte, dass Gott ihn abgelehnt hatte, gingen seine Emotionen mit ihm durch und sein Blick verfinsterte sich. Gott warnt ihn, in diesem Zustand zu verharren. Schlimmeres kann geschehen: die Sünde lauert vor der Tür, sie verlangt (!) nach Kain.
Kain versagt darin, über die Sünde zu herrschen. Das Erschreckende an dieser Geschichte: Der erste Mensch, der je geboren wurde, wird zum Mörder. Als Motiv spielt Neid eine große Rolle. Neid auf den Bruder, der von Gott angenommen wurde, während man selbst krasse Ablehnung erfuhr. Deshalb ist dieser Mord in erster Linie religiös motiviert.
Abel ist der erste in einer langen Reihe von Märtyrern. Jesus bezichtigte die religiöse Elite seiner Zeit für den Tod vieler Männer Gottes verantwortlich zu sein: „damit über euch alles gerechte Blut kommt, das auf Erden vergossen worden ist, vom Blut Abels, des Gerechten, bis zum Blut des Zacharias, des Sohnes Barachias, den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar getötet habt" (Mt. 23,35). Für Jesus sind die Schriftgelehrten und Pharisäer in letzter Konsequenz alle Nachkommen Kains. So wie dieser, der nach dem Mord keinerlei Reue zeigte, waren auch die Hohenpriester, die Jesus zu Tode brachten, Überzeugungstäter.
Nur äußerlich war Kain ein Anbeter Gottes. Im Innern war er ein Kind des Teufels. Jo 8,44: „Ihr habt den Teufel zum Vater, und was euer Vater begehrt wollt ihr tun! Der war ein Menschenmörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit. denn Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben". Dies ist eine Beschreibung der Vorgänge in 1Mo 4. Kain tut, was sein Vater begehrt und wird zum Mörder. Und als Gott ihn nach Abel fragt, lügt er.
Das Zeichen
Gott spricht einen Fluch aus über Kain. Der Erdboden, den er bebaut, wird ihm seinen Ertrag verweigern. Damit entzieht er Kain, dem Ackerbauern, die Existenzgrundlage. Kain wird keine Ruhe mehr finden. Er wird sich auf der Flucht befinden. Soweit das Urteil Gottes. Kain geht in seiner Selbsteinschätzung noch darüber hinaus: er fühlt sich von Gott vertrieben, er ist der Meinung, er müsse sich vor Gottes Angesicht verbergen und er fürchtet, getötet zu werden.
Doch nach Gottes Willen soll Kain nicht sterben. Er soll nicht die gerechte Strafe empfangen, die er als Mörder verdient (vgl. 1Mo 9,5-6). Kain erfährt eine Sonderbehandlung und wird „markiert". „Und der Herr gab Kain ein Zeichen, damit ihn niemand erschlage, wenn er ihn fände" (1Mo 4,15). Wer es doch täte, würde sich siebenfache Rache zuziehen.
Der Autor des Buches „Rulers of Evil", Frederick Tupper Saussy, vergleicht die Geschichte Kains mit dem Marduk-Mythos und kommt dabei zu erstaunlichen Einsichten. Anu, oberste babylonische Gottheit, ist bestürzt über das Chaos auf der Erde, die von Wasser überflutet ist und auf der sich Riesenschlangen tummeln. Marduk, erstgeborener Sohn der Mondgöttin Ea soll dieses Chaos beseitigen. Er ist bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, doch nur unter der Voraussetzung, dass er den ersten Platz unter allen Göttern bekommt und dass Anu ihm ihre Autorität überträgt. Anu akzeptiert diese Bedingungen und verleiht Marduk die Macht und die Insignien der Königsherrschaft. So ausgestattet begibt sich Marduk auf die Erde und beseitigt die Flut. Er bezwingt die Ungeheuer und jeder Bösewicht, der es wagt, sich ihm zu widersetzen, erfährt den Zorn Gottes.
Wo finden sich die Parallelen? Kain und Marduk sind beide die erstgeborenen Söhne von Müttern, die fast gleich heißen. Beide sind zur Herrschaft über die Bösen bestimmt. Bei Marduk waren die Bösewichte Chaoswesen, die Anus Erde verdarben. Bei Kain waren es Menschen, die ihn als heimatlosen Flüchtling ermorden würden. Beide empfingen vom Gott des Himmels ein Siegel der Immunität: Bei Marduk manifestiert sich dieses Siegel im Zeichen Anus, einem Doppelkreuz
.Die Klage der Erde über Abels Blut brachte Gott dazu, Kain zu verbannen. Und in gleicher Weise wie Marduk Schutz vor den Ungeheuern forderte, über die er herrschen sollte, so forderte Kain Schutz vor möglichen Angreifern in seinem Exil. Gott gewährte ihm diesem Schutz, indem er ihm ein Zeichen machte. Dadurch wurde er siebenfach stärker als seine Herausforderer. Dieses Zeichen hatte die gleiche Wirkung wie die Insignien der Königsherrschaft, die Anu Marduk übertrug. Es befähigte Kain, über Menschen zu herrschen, die wie er selbst keine Achtung vor dem Namen Gottes hatten und sich fern von Gottes Gegenwart aufhielten.
So ausgestattet konnte Kain seine Herrschaft des Bösen beginnen. Er nahm sich eine Frau, zeugte einen Sohn und baute eine Stadt, die er nach seinem Sohn Henoch benannte. Jahrhunderte später versank diese Stadt unter den Ablagerungen der Sintflut. Sie verschwand aus der Erinnerung, wurde ein Mythos und geriet schließlich in Vergessenheit. In den 1840er Jahren wurde diese Stadt wieder entdeckt: in der Nähe von Al Khidr am Euphrat. Diese Stadt hieß Unuk.
Der Linguist Archibald Sayce entzifferte viele Tontafeln und äußerte sich 1887 dahingehend, dass Unuk das biblische Henoch gewesen sein muss. Er wies auch darauf hin, dass einer der mythologischen Namen Kains Marduk war. Als Herrscher von Unuk war Kain als Sargon bekannt oder Shargani, Sarrukinu, Sargoni etc. Diese Varianten von Sargon sind Zusammensetzungen aus den Babylonischen Wörtern shar, was König bedeutet und gani, kinu oder goni, was Kain bedeutet. Sargon kann also mit „König Kain" gleichgesetzt werden.