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Ablass 2.0

Als Luther im Jahr 1517 seine Thesen an eine Kirchentür schlug, wandte er sich gegen die vom Papsttum geschürte Angst vor dem Fegefeuer und dem Ablasshandel. Nächstes Jahr feiern die Protestanten dieses Ereignis, das dann genau 500 Jahre zurückliegt, im ganz großen Stil. Aber werden sie sich auch innhaltlich mit dem befassen, was Luther damals zu diesem Schritt veranlasste? Ich befürchte, es wird nicht so sein. Im Vorfeld der Feierlichkeiten geht es wohl eher um "Ökumene". Vom aktuellen Protestantismus jedenfalls geht keine Gefahr aus für die Irrlehren des Papsttums. Symptomatisch für diese Einschätzung ist ein Brief von Kardinal Marx an den Landesbischof der Ev. Kirche, Dr. Heinrich Bedford-Strohm, in dem er sich dafür bedankt, "dass durch das Reformationsgedenken die Annäherung, die zwischen unseren Kirchen erreicht wurde, nicht gefährdet wird".

Während die Protestanten sich auf einem Kuschelkurs mit der Katholischen Kirche befinden, ist die Gegenreformation in vollem Gange. Rechtzeitig vor dem Lutherjahr hat der Papst ein "Heiliges Jahr der Barmherzigkeit" ausgerufen und, man höre und staune, den Ablass wieder in den Mittelpunkt gerückt. In einem Artikel der Welt vom 08.12.2015 erfährt man Erstaunliches über diese neuzeitliche Ablasslehre. Ich zitiere:

»Der Kurienkardinal Mauro Piacenza hat gerade in einem Interview mit Radio Vatikan gesagt, ein Ablass "nimmt gewissermaßen als Staubsauger Gottes die Krümel der Sünde weg". Wer sich als gläubiger Katholik falsch verhalten, also gesündigt hat, kann zur Beichte gehen. Dort werden ihm alle seine Sünden vergeben. Damit ist das Problem nach Überzeugung der Kirche aber noch nicht gelöst: Eine "zeitliche Strafe", also Sühnehandlung wird zusätzlich fällig, obwohl die Vergebung schon geschafft ist, weil die Folgen der Sünde noch in der Welt sind (das, was der Kardinal mit "Krümeln" meint). Lebende können ihre Schuld etwa mit Gebeten, Pilgerfahrten, Almosen und Askese abzutragen versuchen. Was sie bis zum Tod nicht wieder gut gemacht haben, müssen sie anschließend im Fegefeuer abgelten. Um diese "zeitlichen Strafen" für die Lebenden und die Toten zu verkürzen oder ganz zu erlassen, kann die Kirche Ablässe gewähren.«

Und weiter heißt es:

»Ein Ablass ist ein unsichtbarer, spiritueller Vorgang. Er ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Voraussetzung ist, dass der Gläubige seine Sünden bereut, sie gebeichtet hat und zur Kommunion gegangen ist. Außerdem muss vorher ein Gebet von einer regelmäßig aktualisierten Liste verrichtet worden sein ... Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann zu bestimmten Anlässen oder an bestimmten Orten ein Ablass empfangen werden, zum Beispiel während des Segens "Urbi et Orbi" oder an manchen Wallfahrtsorten.«

Aber es kommt noch besser:

»Papst Franziskus hat in einem Brief an einen Kurienerzbischof einen Jubiläumsablass für alle Pilger ausgelobt, die im Laufe des Heiligen Jahres durch eine Heilige Pforte ziehen. Heilige Pforten gibt es zum Beispiel in den vier päpstlichen Basiliken in Rom, darunter vor allem der Petersdom. Auch die Bischofskirchen (Kathedralen) in aller Welt bieten Heilige Pforten an, die im Jubeljahr geöffnet werden. Kranke, denen das Pilgern nicht möglich ist, können den Ablass in jeder normalen Messe erhalten, auch bei einem Fernseh- oder Radiogottesdienst. Gefängnisinsassen erhalten den Ablass in den Gefängniskapellen oder "jedes Mal, wenn sie durch die Tür ihrer Zelle gehen und dabei ihre Gedanken und ihr Gebet an Gottvater richten", wie es in dem Papstbrief heißt.«

Mit solchen Aussagen liefert das Papsttum erneut einen Beweis dafür, wie sehr es die Wahrheiten der Bibel missachtet und so Gottes "Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Verstand" (Hiob 38,2). Wo bleibt der Protest gegen diese Ungeheurlichkeiten? Ich höre ihn nicht, jedenfalls nicht in Deutschland. Dass sich gläubige Katholiken solche Lügen auftischen lassen, ist zutiefst bedauerlich. Dass aber die Mehrheit derer, die es besser wissen müßte, dazu schweigt, ist skandalös. Unfassbar, wie die Nachfolger von Männern, die einst die Irrlehren der Katholischen Kirche bis aufs Blut - und oft war es ihr eigenes - bekämpften, heute um des ökumenischen Friedens willen das reformatorische Erbe mit Füßen treten!

Geistlich gesehen befindet sich dieses Land (und mit ihm vielleicht ganz Europa?) in einem desolaten Zustand. Passend hierzu berichtet John Piper, ein Prediger aus den USA, über seine letzte Europareise : "Das in höchstem Maße bestimmende Element ... war die Herausforderung, das Evangelium Christi Menschen zu verkünden, deren Verstand und deren Herz seit Jahrhunderten durch einen religiösen und kulturellen Römischen Katholizismus geprägt und gefangen genommen sind." Diese Gefangenschaft manifestiert sich nach Pipers Einschätzung bis heute darin, die Gläubigen in eine tiefgreifende Abhängigkeit von allen möglichen Mittlern zu bringen (Maria, den Heiligen, den Priestern, welche die Sakramente spenden) und ihnen eine von der Bibel losgelöste allumfassende Autoritätsstruktur aufzubürden. Integraler Bestandteil ist ein System der Buße, welches das Gewissen des von Ritualen gesteuerten Gläubigen nur vorübergehend von Schuldgefühlen befreien kann.

Deshalb dürfen wir die Reformation nicht als historisch abgeschlossenes Ereignis abhaken. Vielmehr sind wir aufgefordert, unseren Protest (lat. von protestari = öffentlich bezeugen) im eigentlichen Wortsinn wieder neu zu entfachen. Noch einmal John Piper: "Heute brauchen wir in den Gemeinden, in den Medien und im persönlichen Gespräch dringend eine starke, kristallklare, vom Geist gesalbte Verkündigung eines Evangeliums der Rechtfertigung allein aus Gnade, allein auf der Grundlage von Christus, allein durch Glauben, allein für die Herrlichkeit Gottes, so wie es in der Schrift mit letztgültiger Autorität dargelegt ist."

Auch 500 Jahre nach Luther ist die Zeit für Streit noch nicht vorbei (Prediger 3,8).

Webseite von Michael Schuch
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