Sola fide, sola gratia?
Sola fide, sola gratia - allein aus Glauben, allein durch Gnade. So lautete vor 500 Jahren die Antwort eines gegen Gedankenverbote kämpfenden Augustinermönchs auf die brennende Frage, wie das Verhältnis zwischen sündigen Menschen und einem gerechten Gott in Ordnung gebracht werden kann. Diese Rechtfertigungslehre wurde für Luther zum articulus stantis et cadentis ecclesiae, zum (alles entscheidenden) Kriterium, mit dem die Kirche steht und fällt. Verständlich daher die harten Auseinandersetzungen mit der Kirche Roms, die darauf beharrte, dass ohne die guten Werke und die "Tretmühle" der Sakramente in Bezug auf die Rechtfertigung des Menschen vor Gott nichts geht - eine Sichtweise, die noch heute gilt.
Was Luther für nicht verhandelbar erklärte, haben seine Nachfolger Stück für Stück aufgeweicht, relativiert und verwässert. Ein trauriger Meilenstein dieser Entwicklung wurde in der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" aus dem Jahr 1999 erreicht. Darin bekunden Lutheraner und Katholiken feierlich, in den Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre Konsens erzielt zu haben. Welch ein Trugschluss! Denn auf der Seite der Römisch-Katholischen Kirche gilt bis heute unwiderruflich, was 1547 im Konzil von Trient formuliert wurde: "Wenn jemand sagt, der Ungerechte werde allein durch den Glauben gerechtfertigt, so dass er damit versteht, es werde nichts anderes gefordert, das zur Erlangung der Rechtfertigungsgnade mitwirke, ... der sei verflucht."
Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung als Verrat an dem zu verstehen, wofür die Reformatoren gekämpft haben und teilweise den Märtyrertod gestorben sind. Für ein Linsengericht namens Ökumene wurde die tragende Säule lutherischer Glaubensgrundsätze preisgegeben. Hat man denn vergessen, welche Kostbarkeit der subjektiven Gewissheit innewohnt, dass es Gottes eigene Gerechtigkeit ist, die auf den Sünder übergeht, ihm somit ohne Verdienst zukommt, und dass diese geschenkte Gerechtigkeit die einzige ist, die vor Gott gilt (Römer 1,17)?
Die Evangelische Kirche schickt sich an, das Lutherjahr und 500 Jahre Reformation zu feiern. Es ist wohl kaum zu erwarten, dass die vielen Festlichkeiten eine Rückbesinnung auf das Evangelium, das Luther mit klarer Kante verkündete, auslösen werden. Die Führungsriege wird aber ihr Bestes tun, das geistliche Vakuum mit schönen Worten über den Klimawandel, die Flüchtlingspolitik oder den interreligiösen Dialog zu füllen. Es bleibt zu hoffen, dass der eine oder andere Pastor trotzdem nicht aufhört, in aller Deutlichkeit auf das hinzuweisen, was den Kern dieser Kirche einmal ausgemacht hat: sola fide, sola gratia - die Reformation ist noch nicht zu Ende!
___
Eine sehenswerte Debatte über die Rechtfertigung in englischer Sprache finden Sie hier .
Auch einige Seiten in diesem Buch haben mein Verständis über die Rechtfertigung aus Glauben vertieft.